Lumumba – Kakao „mit Schuss“ oder erschossener Politiker? Die wissenschaftliche Einordnung einer Debatte
von Dr. Julien Bobineau
Deutschlandweit wird derzeit über ein Getränk diskutiert, das viele Menschen an Weihnachten, die kalte Jahreszeit und verschneite Landschaften erinnert. Die Rede ist vom „Lumumba“, einem Kakao mit Rum und Sahne. Das Problem: Das Getränk „mit Schuss“ wurde nach Patrice Lumumba benannt, einem kongolesischen Politiker, der 1961 auf Befehl ‚westlicher‘ Geheimdienste erschossen wurde. Pietätlos und rassistisch? Genau darüber wird gerade öffentlich debattiert. Worüber (leider noch) nicht gesprochen wird, ist die unglaublich schockierende und brutale Geschichte, wie Patrice Lumumba zu Tode gekommen ist und welchen Anteile europäische Interesse daran hatten.
Lumumbas Geschichte habe ich in meiner bereits 2019 erschienenen Dissertation untersucht. Ein weiterer Fachartikel zum Lumumba-Bild in Deutschland seit 1961 ist gerade im Erscheinen. Während meiner Forschungsarbeiten habe ich mit vielen Kongoles:innen gesprochen. Für sie ist die Figur Lumumba ein Märtyrer und so etwas wie ein nationales Heiligtum.
Das Lumumba-Denkmal in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa (MONUSCO Photos / CC BY-SA 2.0)
Worum geht es?
Patrice Emery Lumumba (1925-1961) war der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Nach ihm wurde in Deutschland ein Getränk benannt, das aus heißem oder kaltem Kakao mit einem Schuss Rum und häufig mit einer Haube aus Schlagsahne garniert wird. Nun diskutiert die Öffentlichkeit derzeit deutschlandweit, ob die Bezeichnung des Getränks rassistisch ist.
Der historische Hintergrund
Knapp 80 Jahren stand das Land unter der brutalen Herrschaft Belgiens. Das Hauptinteresse waren die immensen Rohstoffvorkommen wie Gold, Kupfer, Diamanten, Seltene Erden, Holz und Kautschuk. Historiker:innen gehen davon aus, dass die belgische Kolonialverwaltung zwischen 1876 und 1960 für den Tod und die Versklavung von bis zu 10 Millionen Menschen verantwortlich ist.
Lumumba wollte diese Grausamkeiten nicht hinnehmen und prägte den gewaltfreien Freiheitskampf in den 1950er Jahren. Am 30. Juni 1960 führte Lumumba den Kongo schließlich in die Unabhängigkeit. Doch die Freude über die Freiheit währte nicht lange: Im September 1960 wurde Lumumba mit Hilfe der CIA abgesetzt und am 17. Januar 1961 auf den direkten Befehl des belgischen Geheimdienstes in der Provinz Katanga ermordet und vergraben. Einige Tage später grub der belgische Geheimpolizist Gerard Soete die Leiche wieder aus, zersägte sie, löste sie in Säure auf und verbrannte die Reste. Nichts sollte mehr an Lumumba erinnern, auch auf politischer Ebene: Bis zum Jahre 1999 bestritt der belgische Staat, die Ermordung Lumumbas in Auftrag gegeben zu haben.
Doch warum so viel Aufwand?
Lumumba verfolgte im Zeitalter des Kalten Krieges die sogenannte Blockneutralität. Das heißt, dass er sich politisch-ideologisch weder zur US-geführten NATO noch zum sowjetischen Warschauer Pakt bekennen wollte. Lumumbas Wirtschafts- und Sozialpolitik galt als sehr progressiv: Die vielen Rohstoffe des Kongo sollten der Bevölkerung zugutekommen, während auch Frauen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gefördert werden sollten. Doch das gefiel nicht allen: Belgien, Frankreich und die USA wollten die Kontrolle über die militärisch wichtigen Rohstoffe nicht an die Sowjetunion verlieren und ließen Lumumba deshalb ermorden.
Was ist das Problem?
Lumumba war Schwarz und wurde erschossen. Deshalb kam jemand in Deutschland in den 1960er Jahren auf die Idee, einen Kakao „mit Schuss“ nach Lumumba zu benennen.
Darum geht es: Ein kakaohaltiges Getränk mit Sahne und „Schuss“ (Public Domain)
Zu dieser offensichtlichen Pietätlosigkeit gesellt sich ein latenter Rassismus: In der kulturwissenschaftlichen Forschung gilt heute unbestritten, dass die Verbindung von Schwarzer Hautfarbe und „dunklen“ Kolonialwaren wie Schokolade, Tee oder Kaffee kolonialrassistisch ist und die Menschen aus den Kolonien mit „Konsumwaren“ gleichsetzt. In Werbung für Seife und Bleiche manifestierte sich zudem der Irrglaube, dass Schwarze Hautfarbe schmutzig sei und nicht dem Ideal entspreche.
Weitere Überlegungen zu kolonialen Afrikabildern finden sich hier.
Für die Wirkung von Rassismus spielt die Intention erst einmal keine Rolle. Für von Rassismus Betroffene ist es zunächst egal, ob eine Aussage rassistisch „gemeint“ ist oder nicht. Nur weil etwas nicht „so gemeint“ ist, bedeutet dies nicht, dass eine Aussage nicht dennoch Menschen verletzt. Die afrodeutsche Publizistin Noah Sow hat ein passendes Beispiel dafür formuliert: Wenn mir ein Mann mit einem Auto über den Fuß fährt und danach sagt, er habe es nicht so gemeint, dann wird mir mein Fuß dennoch wehtun.
Wenn es nun heißt, wir hätten mit dem Klimawandel, der Migrationspolitik oder der Energiekrise auch noch andere Probleme, als über die rassistische Bezeichnung eines Getränks zu diskutieren, kann man grundsätzlich zustimmen. Doch hier ist das etwas anders. Denn der Fall Lumumba ist die Personifizierung all dieser Probleme, die uns gegenwärtig beschäftigen. Der Fall Lumumba spiegelt wie kein anderer…
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- die ‚westliche‘ Ignoranz beim Umgang mit anderen Staaten, wie wir sie bei der Diskussion um den Klimawandel beobachten können;
- die Schaffung globaler Abhängigkeitsverhältnisse, die ‚westlichen‘ Staaten bis heute zum Vorteil dienen sollen;
- die aus dem Kolonialismus resultierenden Folgen für die jungen afrikanischen Volkswirtschaften, die durch neokoloniale Denk- und Handlungsweisen von Innovationsmärkten ferngehalten werden und so nur einen kleinen Beitrag zur Lösung globaler Probleme beitragen können.
Die unreflektierte Benennung eines gepanschten Mischgetränkes und der bornierte Trotz, der auf (zweifelhafte, weil junge) „Traditionen“ und die „Banalität“ der Debatte verweist, ist die symbolisierte Verballhornung all dieser globalen Probleme, die uns praktisch vor unserer Haustüre begegnen.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Die Diskussion um das rassistische Getränk offenbart grundsätzliche Muster, die sich auch in anderen z.T. künstlich aufgeladenen Debatten unserer Zeit wie dem Veganismus, den Klimaprotesten oder dem Gender-Sternchen wiederfinden. Während hier regelmäßig die Stunde von Populist:innen schlägt, haben Menschen, die in Kommentarspalten relativierend fragen, ob wir keine andere Probleme hätten, offenbar keine anderen Probleme, als sich zu echauffieren und an der Debatte vorbei neue Meta-Ebenen zu eröffnen, die mit dem Gegenstand nichts mehr zu tun haben.
Es braucht also keine Verbote, sondern es braucht mehr Hintergrundwissen und Mut zum Perspektivwechsel. Und dabei geht es nicht um Wokeness oder die Streichung einer längst überholten, rassistischen Bezeichnung für ein Getränk, sondern um Wissen, Empathie, Respekt und das aufrichtige Interesse an sozialem Frieden. Unser Ansatz ist deshalb: Keine Verbote. Lasst uns erklärbar machen, warum es rassistisch erscheinen kann, einen braunen Kakao „mit Schuss“ nach einem Schwarzen Politiker zu nennen, der für die Befreiung Afrikas kämpfte. Und dafür sein Leben ließ.