Helau, Alaaf und Ahoi! – Drei Tipps für ein diskriminierungsfreies Karneval
von Dr. Julien Bobineau
Die fünfte Jahreszeit steht kurz vor ihrem Höhepunkt und deutschlandweit feiern Faschingsbegeisterte derzeit den Beginn der Fastenzeit. In dieser närrischen Phase stellen sich fast alle Karnevalist:innen die immer gleiche Frage: Wie soll ich mich in diesem Jahr verkleiden? Egal ob beliebte Klassiker wie Tierkostüme, Superheld:innen oder Clown, Verkleidungen mit Zeitbezug (z.B. Donald-Trump-Maske) oder ausgefallene Gruppenkostüme, um die britischen Royals oder das Trendgetränk Aperol Spritz nachzustellen – der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Doch ist das wirklich so, dass man sich sein Faschingskostüm frei aussuchen kann oder gibt es womöglich Beschränkungen? Dieser Blog-Beitrag will dieser Frage auf den Grund gehen und praktisches Hintergrundwissen vermitteln, damit die Auswahl des Faschingskostüms nicht zum Fettnäpfchen wird.
(Triggerwarnung: In diesem Blog-Beitrag werden kulturelle und rassistische Stereotype in Wort und Bild reproduziert. Dieser Schritt ist aus unserer Sicht notwendig, um die Stereotype in anschaulicher Weise zu erklären, kritisch zu reflektieren und zu dekonstruieren.)
Kein generelles Verbot bestimmter Kostüme – mit wenigen Ausnahmen
Eine wichtige Nachricht vorweg: Deutschland ist kein „Verbotsland“, auch wenn dieses Narrativ häufig in konservativen und rechtsextremen Positionen bedient wird. Das gilt übrigens auch für Verkleidungen an Fastnacht. Allerdings gibt es hier einige wichtige Ausnahmen, die gesetzlich geregelt sind und in der Konsequenz zu einem rechtlichen Verbot bestimmter Kostümierungen führen: So kann die Verkleidung als Polizist:in wegen Amtsanmaßung unter Umständen eine Anzeige nach § 132 Strafgesetzbuch (StGB) nach sich ziehen – nämlich dann, wenn man ‚echten Polizist:innen‘ in der Erscheinung stark ähnelt und/oder als „falsche:r Polizist:in“ am Faschingsumzug eine konkrete Diensthandlung wie eine Vernehmung, Durchsuchung, Verhaftung oder die Regelung des Verkehrs vornimmt.
Gesetzlich untersagt: Anscheinswaffen & verbotene Symbole
Auch das Tragen einer Spielzeugwaffe, wie z.B. bei der Verkleidung als Soldat:in oder Polizist:in, kann schnell zum Problem werden. Denn das öffentliche Mitführen einer sogenannten Anscheinswaffe, also einer real wirkenden Waffenattrappe, ist nach § 42a Waffengesetz verboten und wird mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro bestraft. Ausschlaggebend ist dabei, ob die mitgeführte Waffe einer echten Waffe täuschend ähnlichsieht. Um es gar nicht erst zu Missverständnissen mit echten Polizist:innen kommen zu lassen, sollte beim närrischen Treiben auf das Mitführen von Waffen besser verzichtet werden. Gesetzlich eindeutig geregelt ist hingegen die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen während des Karnevals: Nach § 86a StGB ist das Tragen von verbotenen Zeichen wie Hakenkreuz oder „White Power“-Symbol des rassistischen Ku-Klux-Klans streng untersagt. Bei einer Missachtung drohen Geldstrafen und Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren.
1. Tipp: Kulturelle Aneignung
Neben diesen rechtlich klar geregelten Fällen gibt es eine Reihe weiterer Karnevalskostüme, die problematisch erscheinen. Als Faustregel gilt: Bei allen Verkleidungen, durch die sich andere Menschen verspottet fühlen könnten, ist eine gewisse Vorsicht geboten. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn gesellschaftliche Gruppen oder Interessensvertretungen wie die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) bestimmte Kostüme nicht so lustig finden und regelmäßig darauf hinweisen. Zu den häufig kritisierten Verkleidungen zählen vor allem diejenigen Kostüme, bei denen wichtige kulturelle Symbole oder Kleidungselemente anderer Kulturen nachgeahmt werden. Das ist zwar nicht verboten, kann jedoch als respektlos bewertet werden und zu unangenehmen Auseinandersetzungen oder gar Shitstorms führen. Denn die Verkleidung als Mexikaner:in mit Sombrero, Jamaikaner mit Dreadlocks oder japanische Geisha führt häufig zum Vorwurf der kulturellen Aneignung, also der Übernahme von kulturellen Ausdrucksformen und Objekten durch kulturell ‚Fremde‘. Die Plakatkampagne „Ich bin kein Kostüm!“ des Vereins Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. hat 2017/18 unter anderem in Köln auf dieses Problem hingewiesen:
Quelle: Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.
Aber an Karneval soll man doch mit Büttenreden, Umzugswägen und vor allem Verkleidungen andere Menschen verspotten dürfen, oder etwa nicht?
Eine kurze Geschichte des Karnevals
Ganz so einfach ist es nicht, wie ein genauerer Blick auf die Geschichte des Karnevals deutlich macht. Denn eigentlich geht es eben nicht darum, sich über andere Kulturen, Minderheiten und ausgegrenzte Menschen lustig zu machen – sondern über die mächtige Obrigkeit. Aber alles der Reihe nach. ‚Karneval‘ lässt sich vermutlich aus dem Lateinischen ‚carne vale‘ (‚Lebe wohl, Fleisch‘) ableiten und bezieht sich – ebenso wie die Fastnacht, also die ‚Nacht vor dem Fasten‘ – auf die christliche Fastenzeit, in der 40 Tage auf Fleisch verzichtet wird. Erste Vorläufer der heutigen Fastnacht finden sich bereits ca. 5.000 Jahre vor Christus, als auf dem Gebiet des heutige Irak Feste feierte, bei denen Herren und Sklaven für eine kurze Zeit gleichgestellt waren. Im Mittelalter zelebrierte man in Europa sogenannte Narrenfeste oder Eselsmessen, bei denen sich Geistliche über kirchliche Rituale lustig machten und bspw. in Eselsverkleidungen schlüpften. In der Renaissance und im Barock verlagerte sich der Karneval in die Fürstenhöfe und in die Klöster: Während die Mächtigen ausschweifende Feste mit Maskeraden feierten, zelebrierten Mönche und Nonnen die menschliche Vergänglichkeit an Karneval in weltlicher Kleidung.
Der Karneval der Neuzeit
Den modernen Karneval, so wie wir ihn heute kennen, gibt es erst seit 1823: In Köln, das unter preußischer Herrschaft stand, nutzte man die Wiederbelebung des Karnevals, um die feindlichen Besatzer aus Preußen durch eine Verballhornung der Uniformen und Verhaltensweisen zu verhöhnen. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 war der Karneval zunächst auf ein gutes Verhältnis zur Politik bedacht, ehe der 1. Weltkrieg als Bruch viele Bräuche und Traditionen verschwinden ließ. In der darauffolgenden Weimarer Republik wurde Fastnacht vielerorts verboten. Die Nationalsozialist:innen unterhielten indes gute Verbindungen zu den vielen noch bestehenden oder neugegründeten Karnevalsvereinen. Aus Sicht der Nazi-Ideologen spiegelten die Vereine die Ursprünge des germanischen Brauchtums und der ‚völkischen‘ Identität wider. Der Karneval war es übrigens auch, der Deutschland nach dem Ende des 2. Weltkrieges half, das Trauma der nationalsozialistischen Menschenverachtung zu verarbeiten. Nicht umsonst wurde der rheinische Fastnachtsschlager „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ (1948) mangels Alternativen bei offiziellen Anlässen bis 1950 für die deutsche Nationalhymne gehalten.
Verhöhnung der Mächtigen & Umkehr der Macht
Der Trizonesien-Song von Karl Berbuer mit den Zeilen „Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut die große Politik, sie schaffen Zonen, ändern Staaten“ kritisiert augenzwinkernd die Aufteilung Deutschlands durch die alliierten Diplomaten – ein grundlegendes Vorgehen, das bis heute den Karneval in Deutschland prägt. Schließlich geht es in vielen karnevalesken Elementen darum, die Mächtigen zu verhöhnen und die Machtverhältnisse für eine kurze (Narren-)Zeit umzukehren:
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- Karnevalsprinz
Das Bad Godesberger Prinzenpaar der Session 2019/20 beim Karnevalszug in Vilich-Müldorf
Quelle: Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, Axel Kirch
Prinzenpaar: Der Karnevalsprinz ist in vielen Gegenden während einer Fastnachtssession das Oberhaupt der Närr:innen und damit zeitlich begrenzt eine Person des öffentlichen Lebens. Er wird häufig von einer Prinzessin oder seit kürzerer Zeit auch von einem gleichgeschlechtlichen Prinzen durch die Kampagne begleitet. Der Bezug zu den adeligen Titeln von Prinz und Prinzessin ist beabsichtigt und spiegelt sich auch in Kleidung, Artefakten wie dem Zepter und Bräuchen wie der Inthronisierung zu Beginn der Session wider.
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- Uniformen
Uniformen eines Kölner Karnevalsvereins (2013), die an preußische Militäruniformen erinnern
Quelle: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Matthias Kabel
Viele offizielle Karnevalsuniformen, beispielsweise die Bekleidung zahlreicher Prinzengarden, sind den preußischen Militäruniformen nachempfunden – ein Umstand, der auf die kulturelle Auflehnung der Kölner:innen im Jahr 1823 zurückgeht. Hierdurch soll die militärische Autorität in Frage gestellt und verballhornt werden.
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- Rathaussturm
Sturm auf das Rathaus in Freiburg im November 2017
Quelle: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Andreas Schwarzkopf
Der Rathaussturm ist ein Brauch zur symbolischen Besetzung des Rathauses einer Stadt oder Gemeinde durch die Närr:innen. Meist findet dieser Brauch am Beginn einer Fastnachtssession statt. Die Bürgermeister:innen werden vielerorts ‚genötigt‘, den Schlüssel des örtlichen Machtzentrums an den Karnevalsprinzen zu übergeben. Hierdurch soll die gewohnte Ordnung für die Zeit der Fastnacht symbolisch außer Kraft gesetzt werden.
Ob Maskeraden, Verkleidungen und Faschingsumzüge mit satirisch-politischen Botschaften – der Karneval ist unzertrennlich mit der Kritik an den Mächtigen und mit einer Umkehrung der Machtverhältnisse verbunden. Wie passt hier das Konzept der kulturellen Aneignung hinein, z.B. bei der Verkleidung als Mexikaner:in mit Sombrero, Jamaikaner mit Dreadlocks oder japanische Geisha?
Andere Kulturen als Faschingskostüm?
Die einfache Antwort ist: gar nicht. Denn die historischen Ursprünge des Karnevals deuten darauf hin, dass sich während der Narrenzeit ausschließlich über „die da oben“, also die Mächtigen, lustig machen sollte – und eben nicht über andere Kulturen von kolonisierten und unterdrückten Menschen außerhalb Europas. Aber alles der Reihe nach: Im Jahr 1492 landete Christoph Kolumbus in den Amerikas und fand dort einen Kontinent vor, den die Europäer:innen noch nicht kannten. Dass dort bereits seit Jahrtausenden Menschen siedelten, war den europäischen Machthabern so ziemlich egal. Die portugiesischen und spanischen Eroberer zwangen die lokalen Bevölkerungen in Mittel- und Südamerika zur Kooperation, beuteten Ressourcen wie Gold, Silber und Rohrzucker aus und vernichteten ganze Landstriche. Später verschifften die europäischen Kolonialherren mehrere Millionen Sklav:innen gegen ihren Willen aus Afrika in die Amerikas, um die versklavten Menschen als kostenlose Arbeitskräfte auf den landwirtschaftlichen Plantagen einzusetzen. Die britischen Siedler:innen in den heutigen USA bekämpften darüber hinaus die einheimischen Populationen in Nordamerika so stark, dass sich diese Menschengruppen nie wieder davon erholen konnten. Von wem hier die Rede ist?
‚Indianer:innen‘ – ein großes historisches Missverständnis
Von den Indianer:innen natürlich! Einfache Naturvölker mit halbnackten Kriegern im Lendenschurz und mit Federschmuck auf dem Kopf, die in Tipis und Wigwams leben. So oder so ähnlich lauten die Stereotype über die indigenen Bevölkerungen, die lange Zeit vor der Ankunft der Europäer:innen in Nordamerika lebten, in ‚westlichen‘ Vorstellungswelten. Und diese Vorstellungen sind durchaus problematisch, weil sie Fremdbilder entstehen lassen, die häufig nicht der Realität entsprechen, die Realität aber dennoch prägen können. Deshalb wird auch in regelmäßigen Abständen über Karl May und die Geschichten um den Häuptling Winnetou diskutiert: Die Stereotype der ‚kriegslüsternen und brutalen Indianer:innen‘ werden dem Klischee der ‚weißen und moralisch guten Menschenretter:innen‘ aus Europa gegenübergestellt – doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Konflikt zwischen den siedelnden Europäer:innen und den ansässigen lokalen Bevölkerungen eigentlich genau andersherum vonstatten ging.
Winnetou-Inszenierung bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg
Quelle: Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, Hinnerk11
Einiges verdreht wurde auch bei der wörtlichen Bezeichnung für ‚Indianer:innen‘: Weil Kolumbus auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien irrtümlich in den Amerikas landete, bezeichnete er die dort lebenden Menschen als ‚indios‘, als ‚Indianer:innen‘. Obwohl die Bezeichnung also auf einem ‚westlichen‘ Irrtum aus dem 15. Jahrhundert basiert, wird der ursprünglich falsche Begriff bis heute als Fremdbezeichnung genutzt – und von den indigenen Bevölkerungen in den USA z.T. sogar als Selbstbezeichnung übernommen. Doch alle lokalen Bevölkerungen als ‚Indianer:innen‘ zu bezeichnen, wirft diese Menschen in einen großen Topf und unterschlägt die kulturellen Unterschiede, bspw. zwischen indigenen Gruppen im heutigen Kanada und im heutigen Peru. Oder anders gesagt: Die Gruppe der Indianer:innen gibt es eigentlich nicht, im Gegensatz zum…
2. Tipp: Das Indianerkostüm
… Indianerkostüm. Das Problem daran: Nachdem man die indigenen amerikanischen Bevölkerungen während der Kolonialzeit vielerorts fast ausgerottet hat, wirkt es heute zynisch, sich in Europa – dem Ursprungskontinent der Kolonisator:innen – zum Spaß als ‚Indianer:in‘ zu verkleiden. Das kann Angehörige der Gemeinschaft, die in den USA und Kanada um Anerkennung kämpfen und gesellschaftlich isoliert sind, zusätzlich kränken und verletzen. Darauf weisen Vertreter:innen der indigenen Gruppen, die wie der Berliner Regisseur Red Haircrow in Deutschland leben, oder Vereine wie der Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. regelmäßig hin:
Quelle: Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.
Das Argument der ‚anerkennenden Ehrerbietung‘ funktioniert vor dem Hintergrund der karnevalesken Verballhornungsabsicht und Machtkritik hier nicht – anders, als wenn man sich beispielsweise in einem Cowboy-Kostüm mit einem Augenzwinkern an Fastnacht auf die fehlende Aufarbeitung und Geschichtsvergessenheit bei der Ausrottung der ‚Indianer:innen‘ aufmerksam machen würde. Natürlich hat nicht jede:r, der oder die ein Indianerkostüm trägt, böse Absichten. Doch die Intention ist bei der Wirkung auf Personen, deren Kulturen durch den Kontext des spaßigen Karnevals verhöhnt werden, irrelevant. Oder wie die afrodeutsche Aktivistin Noah Sow einmal sinngemäß schrieb: „Wenn ich jemandem mit dem Auto über den Fuß fahre und danach sage ‚Das war nicht so gemeint‘, dann tut der Fuß trotzdem weh.“ Zum Verständnis: Das Indianerkostüm ist nicht verboten. Allerdings sollte man aus Gründen der menschlichen Sensibilität besser auf das Pocahonthas-Kostüm verzichten, das übrigens so wie auch Winnetou in ein ‚weißes‘ Geschichtsnarrativ von den ‚guten‘ Europäer:innen eingebettet ist. Etwas anders ist die Lage beim dritten Tipp, dabei geht es um…
3. Tipp: Blackfacing
… das Blackfacing. Diese rassistische Praktik wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA ‚erfunden‘, wo sich ‚weiße‘ Schauspieler:innen in sogenannten Ministrel-Shows mit schwarzgefärbten Gesichtern über ‚schwarze‘ Sklav:innen lustig machten. Die Verballhornung funktionierte durch eine stereotype Darstellung der immer fröhlichen, wenig intelligenten, singenden und tanzenden Sklav:innen – Bilder in europäischen Vorstellungswelten, die bis heute in unsere Gesellschaft hineinwirken.
Blackfacing auf einem Plakat für eine Ministrel-Show im Jahre 1900
Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei
Als Praktik verbreitete sich das Blackfacing am Ende des 19. Jahrhunderts auch in Europa und wurde in Verbindung mit Bastrock und Knochenkette eingesetzt, um den Kolonialismus durch die abwertende Darstellung von Afrikaner:innen zu rechtfertigen und die angebliche ‚Minderwertigkeit‘ der kolonisierten Bevölkerungen auch kulturell zu unterstreichen. Dies geschieht in einigen europäischen Ländern bis heute: Während der Zwarte Piet mit Blackfacing in Belgien und in den Niederlanden als Knecht des Nikolaus die unartigen Kinder bestraft, dient der in Ketten gelegte Sauvage d’Ath während des Stadtfestes im belgischen Ath als ‚wilde‘ Schreckensfigur.
Auch beim Karneval trifft man hierzulande noch immer praktizierende Verteidiger:innen des rassistischen und abwertenden Blackfacings – und das, obwohl Blackfacing durch den mehrfachen und lautstarken Hinweis ‚schwarzer‘ Interessensvertretungen in Deutschland als geächtet gilt. Ein Beispiel ist der Südend Karnevalsverein 1938 e.V. aus dem osthessischen Fulda, der jahrelang mit rassistischem Blackfacing in der Öffentlichkeit auftrat und dazu durch ein stark romantisiertes Bild der brutalen deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania) auffällt. Gegründet im Jahr 1938 inmitten nationalsozialistischer Kolonialnostalgie – durch den Versailler Vertrag hatte Deutschland 1919 alle kolonialen Ansprüche in Afrika verloren – bedient sich der Verein noch heute problematischer Afrikaklischees. Klar ist: Wer sich in der heutigen Zeit zur Verkleidung schwarze Farbe ins Gesicht schmiert, kann in Anbetracht der medialen Thematisierung von Rassismus nicht ahnungslos sein, sondern ist allenfalls ein:e Provokateur:in…
Fazit
Es gibt eine unendliche Auswahl an wunderbaren, einzigartigen und kreativen Kostümen. Kecke Karnevalist:innen sollten deshalb keine Zeit verschwenden, sich über einige wenige, historisch erklärbare Einschränkungen zu echauffieren, sondern akzeptieren, dass manche kulturellen Handlungen andere Menschen verletzen, verärgern und unter Umständen re-traumatisieren. Kultur ist – und war immer schon – ein dynamisches Konzept, das sich aus verschiedenen Einflüssen speist. Das betrifft auch die Karnevalskultur in Deutschland, die sich in den letzten Jahrhunderten kontinuierlich verändert hat. Und nur, weil man bestimmte kulturelle Praktiken wie das rassistische Blackfacing früher einmal etabliert hat, bedeutet dies nicht, dass man derartige Praktiken allein deshalb aufrechterhalten muss. Kultur bildet sich nämlich auch durch Verhandlungsprozesse an den internen und externen Grenzen von Kultur. Die Art und Weise, wie kompromissbereit wir solche Fragen in Deutschland verhandeln, ist aus unserer Sicht der entscheidende Gradmesser für den Zustand unserer freien, demokratischen und modernen Gesellschaft.